Einseitige Schmerzen im unteren Rücken, Leistenschmerzen – das ISG (Ilioskralgelenk) ist „blockiert“. Was tun?
Plötzlich ist er da. Ein einseitiger, tiefsitzender“ Rückenschmerz, etwas ist im Becken „verklemmt“. Zudem das Gefühl, dass der Schmerz wandert und ausstrahlt“. Der Orthopäde findet nichts Spezielles, redet vielleicht von Stress, zu wenig Bewegung und zu viel Belastung. Sie werden irgendwie „eingerenkt“ oder bekommen eine Spritze an die schmerzende Stelle. Das hilft. Aber nach einer gewissen Zeit ist er wieder da: Der Schmerz.
ISG-Blockade. Was tun?
Nehmen wir als fiktives Beispiel zum besseren Verständnis möglicher Vorgehensweisen (keine Erfolgsversprechen), Reiner S., 46 Jahre. Er fährt gerne Rad, hat in letzter Zeit als IT-Fachmann viel zu tun. Zurzeit (seit einem halben Jahr) erfolgt eine Reorganisation im Konzern, wo er arbeitet, und er muss als Teamleiter für Motivation sorgen und den Zukunftsängsten einiger Mitarbeiter*innen entgegentreten. Es gibt viel Meetings und andauernde Arbeit am PC. Er schildert, diese starken einseitigen Schmerzen, vor allem nach langem Sitzen – seit einem Jahr zunehmend. Auch das Stehpult seines modernen Schreibtisches nutzt nichts mehr. Radfahren verstärkt inzwischen das Problem. Facharztbesuche ergeben eine Blockade des Iliosakralgelenks und keine weiteren Befunde. Die chiropraktische Behandlung und die Spritze durch den Facharzt hat Besserung für einen Tag gebracht. Aber morgens nach dem Aufwachen ging es wieder los mit den Beschwerden. Die nachfolgende Ostheopathie hat eine deutliche Linderung gebracht, das ISG wurde behandelt. Die Schmerzen gehen aber nicht weg. Auf der Beschwerdeskala bis 10 ist er derzeit bei 6. Das Stressgefühl wird stärker, die sportliche Bewegung zum Feierabend fehlt. Selbst Treppensteigen wird inzwischen eine zähe Angelegenheit. Leistenschmerzen kommen hinzu. Die Angst taucht auf: Bleibt das jetzt so? Er hat im Internet etwas über die Pohltherapie® gelesen. Nun will er das ausprobieren.
Wie werden ISG-Schmerzen „behandelt“?
Neben der Befragung ergeben Tastbefunde[1] und die Sicht auf den Patienten folgendes: Er steht leicht schief und verdreht. Er verkürzt die linke Seite und dreht mit dem Becken nach rechts vorne. Er hat tastbare verhärtete druckempfindliche Muskeln im Bereich der Gesäßmuskeln. Schräge Bauchmuskeln, vor allem am Beckenkamm rechts, enthalten stark schmerzhafte Verhärtungen. Die kurzen Adduktoren in der Leiste rechts sind stark verkürzt.[2] Das Bindegewebe der Fascia thoraculombalis reagiert auf leichte verschiebende Bewegung sehr schmerzhaft. Der M. latissimus dorsi wird bei Aufforderung zur Bewegung kaum gefunden. Der M. quadratus lumborum ist rechts stark verkürzt und sitzt sehr nahe an den Rippen. Der Patient hat vom Fahrradfahren ausgeprägte Wadenmuskeln, die immerwieder mal ein bisschen schmerzhaft waren, "wenn ich es mal ein wenig übertrieben hatte", erzählt er grinsend, " Awar aber nicht von langer Dauer. Sportlerwade eben." Mm. gastrocnemius-soleus erweisen sich beim kontrollierenden Tasten als sehr schmerzhaft und die druckhafte Verschiebung der Faszien ergibt einen Wert von 8 auf der Schmerzskala bis 10.
Was kann am ISG behandelt werden und wie?
Unser fiktiver Fall, könnte sich möglichweise wie folgt darstellen - gestartet würde mit der Behandlung der Faszien am Gesäß, am oberen Beckenrand und an der Wade. Nach 20 Minuten wird der Patient aufgefordert sich aufzurichten und ein paar Schritte zu gehen. Ist die Verdrehung im Körper gertinger? Spürt sich das Bein möglichweise auf Nachfrage rechts beim Gehen lockerer an. Wenn ja? Es folgen Pandiculations[3] (aktive bewegende muskuläre Entspannungsverfahren[4]) der seitlichen Muskulatur am Rumpf und des unteren Rückens sowie eine Triggerpunktbehandlung[5] der Wadenmuskulatur. Nach zwei Sitzungen ergäben sich eine klare fortschreitende Verbesserung der Beschwerden (Stufe 4 von 10)? Dem Patienten werden dann spezielle Übungen[6] der App GesundMove[7] empfohlen und Selbstbehandlungen[8] gezeigt. Im weiteren Verlauf würde die tiefsitzende Rückenmuskulatur, die Hüftbeuger und die Adduktoren entsprechend der pohltherapeutischen[9] Vorgehensweise behandelt. Nach mehreren Behandlungen könnte dann die Zuversicht wieder kommen. Die Beschwerden sind dann nicht mehr störend und verbessern sich weiter und nachhaltig im Bewusstsein des Patienten. Der Patient hilft sich mit Übungen und Selbstbehandlungen inzwischen selbst. Er ist auf dem Niveau 1,5 der Beschwerdeskala, die bis 10 geht. Er ist nicht mehr verdreht und fährt wieder gerne Rad. Der Arbeitsplatz wurde verändert, sodass der rechtsstehende Bildschirm, auf den meistens geschaut wurde, mittig steht.
Warum Wadenmuskulatur ISG-Schmerzen auslösen kann?
Oft gilt es in Behandlungen Schlüsselmuskeln als Hauptverursacher neben besonderen Angewohnheiten oder Schonhaltungen zu entdecken, die Beschwerden auf Dauer verursachen können. Hier waren es der M. gastrocnemius[10]. und M. soleus[11] sowie die Gesäßmuskeln Solche Ausstrahlungsmuster werden auch wissenschaftlich beschrieben: Durch fortwährende Erregung durch die Wadenmuskulatur werden nozi-rezeptive Afferenzen im Bereich der unteren Lendenwirbel aktiviert. Diese wecken quasi schlafende Hunde (ineffektive Synapsen) auf den sakralen Synapsen. Damit können myofasziale Triggerpunkte[12] in der Wadenmuskulatur nun ausstrahlende Schmerzen direkt in der Gegend des ISG verursachen[13].
Literaturnachweis - ISG und Wadenmuskulatur
[1] Pischinger, A., Das System der Grundregulation, 1975, S. 128
[2] Muscolino, J. E., Anatomische Strukturen begreifen, München, 2013
[3] Hanna, T., Beweglich sein ein Leben lang, München, 2016
[4] Chaitow, L., Muskel-Energietechniken, München, 2008
[5] Travell, J. G., Simons, D. G., Handbuch der Muskel-Triggerpunkte
[6] Peterson, M., Move without Pain, New York, 2011
[7] Bruckmann, R., Mörgen, T., Rückenschmerzen selbst behandeln, München, 2022
[8] Bruckmann, R., Unter der Gürtellinie, München, 2020
[9] Pohl, H., Unerklärliche Beschwerden, München, 2010
[10] Geist K. et.al., M. gastrocnemicus, S. 885 ff., in: Donnelly ,J. M., Travell, Simons & Simons`Handbuch der Muskeltriggerpunkte, München, 2022
[11] Geist, K., Donnelly, J. M., M.soleus und M. plantaris, S. 898 ff., in: Donnelly ,J. M., Travell, Simons & Simons`Handbuch der Muskeltriggerpunkte, München, 2022
[12] Müller-Wohlfahrt, H.M., et.al., Muskelverletzungen im Sport, Stuttgart, 2014, s. 270ff.
[13] Mense, S., Muskeln, Faszien und Schmerz, Stuttgart, 2021, S 153ff.